Sonntag, 19. August 2007

Von Cluny nach Le Puy-en-Velay

vom 23.7. - 8.8.2007

Cluny, 23. Juli 2007
Nun bin ich also in Cluny angekommen. Ich wurde gleich von einem Gewitter begrüsst. Gott sei Dank breche ich erst Morgen auf denn es stürmt mal wieder. Dies erinnert mich an meinen ersten
Wandertag als ich im Herbst in Le Puy losgezogen bin. Bin mal gespannt, ob ich dieses Mal auch wieder so geprüft werde.
Die Zimmersuche für Morgen gestaltet sich schon mal schwierig. Die zwei Gîtes welche ich versucht habe anzurufen gibt es nicht mehr und ein Hotel ist wegen Umbau geschlossen. Beim vierten Anruf bin ich dann fündig geworden. Mache mir ein wenig Sorgen wegen meiner Finanzen wenn ich immer wieder im Hotel absteigen muss!
Ich muss wieder mehr Vertrauen finden und vor allem im Moment bleiben. Wie Eckhart Tolle so schön sagt: „Mit dem jetzigen Moment kann man immer umgehen aber mit der Zukunft, welche ja gar nicht existiert, nicht. Dies soll mein Motto für Morgen werden. Ich probiere es mal wieder mit Wünschen. Also für Morgen wünsche ich mir angenehmes und schönes Wanderwetter und viele schöne Begegnungen. Mal schauen ob dies hier auch wieder funktioniert.
Wollte mir eigentliche Cluny anschauen aber das Wetter ist nicht gerade einladend, werde wohl aber trotzdem gehen. Heute Abend werde ich hier im Hotel essen und dann früh zu Bett gehen um Morgen fit zu sein.
Ich habe es doch noch geschafft Cluny zu besichtigen und hatte prompt schon meine erste Einsamkeitsattacke. Habe mich in eine Kirche gesetzt und geweint. Heute hätte ich gerne jemanden gehabt um mich mitzuteilen. Das ödeste ist alleine im Restaurant zu sitzen und aus dem Fenster zu starren. Ich mag es nicht alleine im Hotel zu sein, ich möchte lieber mit anderen Pilgern in einer Gîte sein so wie auf der Via Podiensis. Morgen bin ich aber schon wieder im Hotel... Vielleicht ist loslassen angesagt?
Letzten Herbst war ich auch die ersten zwei Tage total alleine und einsam, vielleicht hat es auch damit zu tun, dass ich noch nicht ganz da bin
Es war ein anstrengender Tag mit wenig Schlaf und wenig Essen. Dafür fühle ich mich jetzt überessen, dabei habe ich Käse und Dessert ausgelassen. Muss mich erst wieder an die Viergänger der Franzosen gewöhnen.
Vor meinem Fenster ist ein riesiger Schwarm Vögel gelandet, die machen einen Wahnsinnslärm! Kann man nur hoffen, dass die sich bald schlafen legen, dies scheint ihr Nachtquartier zu sein. Ansonsten kommen wohl meine Ohropax zum Einsatz.

Cenves, 24. Juli 2007 (23.5 km)
Was für ein erster Tag! Als ich in Cluny gestartet bin hat es schon bald angefangen zu regnen. Ich bin sicher 2 – 3 Stunden in strömendem Regen gelaufen. Immer wieder kamen Zweifel auf ob ich mich nicht doch übernommen habe. Aber das kenne ich ja schon von meiner letzten Tour. Ich habe unterwegs niemanden getroffen und plötzlich hatte ich auch Angst, dass wenn mir etwas zustösst, mich niemand finden würde. Ich musste mich immer wieder in den jetzigen Moment zurückholen. Der grösste Teil des Tages war geprägt von Zweifeln, Ängsten und Einsamkeit. Es ist wie wenn ich da jedes Mal durch müsste am Anfang einer Pilgerreise.
Am Nachmittag wurde es dann leichter, das schlechte Wetter verzog sich innerlich wie äusserlich. In Tramayes bin ich schon um 15.00 Uhr angekommen und ich habe dann spontan beschlossen bis Cenves weiterzulaufen. Somit bin ich heute 23.5 km gelaufen und dementsprechend müde. Ist aber nicht schlecht für den ersten Tag!
Ich habe auch heute wieder fast nichts gegessen. Hunger hatte ich schon aber einfach keine Lust. Auch konnte man sich nirgends hinsetzen da alles total nass war. Dafür habe ich mir jetzt den Bauch mit einem Entrecôte und seltsamem Kartoffelstock vollgeschlagen (selbstgemacht von der Wirtin!).
Ich hatte schon wieder total Mühe ein Zimmer für Morgen zu finden. Ich treffe zwar niemanden auf dem Weg aber die Gîtes sind entweder voll oder es gibt sie nicht mehr. Morgen laufe ich deshalb nur eine kurze Etappe von 12 km bis nach Gros-Bois. Ich kann es also gemütlich nehmen. Werde meine Übernachtungen jetzt noch früher planen müssen also mindestens zwei Tage im Voraus. Die Nacht vom Donnerstag in Les Echarmeaux habe ich auch schon reserviert. Auch muss ich diesen Geldtrip loslassen, es wird auch günstige Übernachtungen geben.

Gros-Bois, 25. Juli 2007 (12 km)
Heute bin ich in einem Schloss gelandet inklusive Schossherrn und Schlosshund. Habe nur eine kurze Etappe gemacht dafür bin ich noch zu weit gelaufen, da ich die Gîte nicht auf Anhieb gefunden habe. Ich musste beim Schlossherrn noch mal nach dem Weg fragen. Ich war so fixiert auf die blau gelben Jakobswegmuscheln, dass ich die Abzweigung nach Gros-Bois glatt verpasst habe. Ich habe es als Training für Morgen abgebucht.
Das Wetter war heute richtig gut, nicht zu heiss und vor allem kein Regen. In Ouroux hatte ich eine kleine Krise, ich fühlte mich mal wieder tierisch alleine und habe mich gefragt, warum in Gottes Namen ich das eigentlich mache. Ich hatte in dem Moment keine Antwort aber ich weiss aus Erfahrung, dass solche Momente kommen und gehen.
Ich habe heute unterwegs wieder niemanden gesehen, es scheinen nicht gerade viele Pilger unterwegs zu sein. Mein Schlossherr, Mr. Mavet meint dies sei wegen dem schlechten Wetter. Morgen laufe ich zum Col des Echarmeaux, dass geht dann ziemlich bergauf nehme ich an. Wenn alles so klappt wie ich es plane, werde ich für den Weg bis Le Puy 15 Etappen brauchen. Wenn es sein muss kann ich gut ein oder auch zwei Tage aussetzen.

So ein kleines Schossbier wäre jetzt wirklich nicht schlecht... Na mal schauen was noch kommt. Auf jeden Fall habe ich einen Bärenhunger, bin mal gespannt auf die Schlossküche. Bin neugierig ob Mr. Mavet hier alleine lebt, schwer vorstellbar ein ganzes Schloss für sich alleine zu haben. Wäre was für Willi, gross genug ist es ja! Ein Hauptgebäude und zwei Nebengebäude plus Scheune.
Heute Morgen wollte ich ein Bett in Cuinzier reservieren und habe aufs Band gesprochen weil niemand abgenommen hat. Heute Abend habe ich es dann nochmal probiert und da hat mir die gute Frau eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen. Dies fand ich total nett und fürsorglich. Es hat mich sehr berührt. Werde Morgen früh nochmal anrufen.
Kleiner Nachtrag: Ja, Mr. Mavet lebt hier ganz alleine! Das wäre nun wirklich nichts für mich.

Les Echarmeaux, 26. Juli 2007 (20 km)
Heute komme ich zu meinem wohlverdienten Bier. Sitze draussen vor dem Hotel auf dem Pass des Echarmeaux und die Autos und Motorräder fahren vorbei. Aber das stört mich nicht, Hauptsache ich muss heute nicht mehr weiterlaufen, kann sitzen und mein Bier trinken. Ich muss noch eine Stunde aufs Essen warten und mir knurrt der Magen. Hier in Frankreich kriegt man vor 19.30 Uhr nichts zu essen und in Spanien ist es dann noch viel schlimmer habe ich gehört. Nichts für die armen Pilger die immer völlig ausgehungert ankommen.
Bin total müde aber froh, diese Etappe geschafft zu haben. Es war ziemlich anstrengend weil es viel bergauf und bergab ging. Am Ende der Etappe konnte ich fast nicht mehr, ich musste meinen ganzen Willen aufbringen um das letzte Stück des Weges noch zu schaffen. Habe mich wieder mal gefragt, warum ich mir das antue. Habe schon wieder keine Antwort und weiss doch, dass es für etwas gut ist.
Es ist schwieriger auf dieser Strecke zu laufen als auf der Via Podiensis, weil wirklich kaum Leute unterwegs sind und ich fast niemanden antreffe. Ich bin sehr alleine und völlig auf mich selbst zurückgeworfen. Aber Angst habe ich eigentlich keine, die packt mich immer erst nachts im Bett wenn ich nicht schlafen kann. Ich habe eigentlich noch keine einzige Nacht gut geschlafen aber die letzte war die schlimmste. Habe sogar eine Schlaftablette genommen und nicht einmal das hat geholfen. Ich habe irgendwie zuviel Energie in meinem Körper und das lässt mich einfach nicht einschlafen. Ja und wenn ich mir das Bett von Heute anschaue wird das wohl auch nicht besser. Es ist ein ziemlicher Durchhänger!
Die morgige Etappe wird wahrscheinlich auch ganz schön anstrengend. Viel rauf und runter ca. 19 km. Hoffe, dass mein Körper und vor allem meine Füsse bis Morgen wieder mitmachen.
Willi der Arme ist noch immer unterwegs und am Ende seiner Kräfte. Hoffe, dass er bald irgendwo ankommt. Der kleine Spinner macht bestimmt etwa 40 km heute. Für mich unvorstellbar. Meine oberste Limite ist momentan bei ca. 23 km.

Cuinzier, 27. Juli 2007 (24 km)
Ich bin hier in Cuinzier, in diesem wunderschönen Haus meiner Gastgeberin Veronique. Ich bin alleine denn sie ist in Lyon und hat mir ihr Haus einfach überlassen. Es berührt mich total hier zu sein, trotzdem dass ich wieder einmal alleine bin bekomme ich soviel Unterstützung nur in dem ich in diesem Haus bin. Es ist alles so liebevoll, die Atmosphäre allein ist Unterstützung genug. Dies ist das Haus einer Pilgerin und diese Frau kümmert sich um ihre Gäste auch wenn sie nicht hier ist. Schade, ich hätte sie gerne persönlich kennengelernt.
So was würde ich auch gerne machen, in einem Haus am Jakobsweg leben und mich um die müden Pilger kümmern.

Die letzten drei Tage waren sehr hart für mich, ich hatte viele Zweifel, Ängste und habe mich unheimlich einsam gefühlt. Ich habe mich mehrmals gefragt warum ich das eigentlich mache und hätte meine Pilgerreise am liebsten abgebrochen. Ich habe Unterstützung gebraucht und hier habe ich sie gefunden, auch wenn niemand hier ist.
Heute war der erste Tag wo ich leichten Herzens unterwegs war. Ich fühlte mich nicht mehr alleine und fühlte eine Präsenz in meiner Nähe welche mich unterstützte und beschützte. Nicht nur mein Herz war leicht sondern auch mein Schritt. Ich habe fast 25 km gemacht und bin trotzdem nicht so müde wie gestern. Sobald der Verstand mit seinen Ängsten und Zweifeln aus dem Weg geht und man völlig im Moment ist, fühlt man sich leicht und von einer schweren Bürde befreit. Ich fühle mich sehr dankbar dieser Frau gegenüber, allen die diesen Weg möglich machen, Gott, St. Jacques und nicht zuletzt mir gegenüber. Dieser Ort hier nährt und wärmt meine Seele, meinen Geist und meinen Körper. Bin mal gespannt wie ich hier schlafen werde.
Nachtrag: Habe auch hier leider wieder schlecht geschlafen.

Briennon, 28. Juli 2007 (23 km)
Ich war mal wieder im Restaurant Essen und habe zwei Stunden auf einem unbequemen Stuhl gelitten! Ich hasse es einfach alleine ins Restaurant zu gehen und die Blicke der anderen zu spüren, als wäre man eine Aussätzige nur weil man alleine ist. Aber wahrscheinlich sind das nur meine Vorurteile, wäre ich OK damit alleine im Restaurant zu sitzen, hätten die anderen auch kein Problem damit oder es wäre dann einfach ihr Problem.
Ich bin in einem Hotel direkt über einer Bar abgestiegen und es ist dementsprechend laut. Wahrend ich dies hier schreibe habe ich Ohropax in den Ohren. Das Fenster werde ich auch noch abdecken müssen weil es keine Vorhänge hat und eine Laterne direkt vor meinem Fenster steht. Was für ein Pilgerleidwesen! Was für ein Kontrastprogramm zu gestern Abend. Aber eben man kann es sich nicht aussuchen, man weiss nie wo man unterkommt und schlussendlich ist man einfach froh überhaupt ein Bett zu haben und duschen zu können.
Ansonsten hatte ich heute einen wunderschönen Tag. Viel Asphalt zwar aber meine Füsse haben gut mitgemacht. Ich habe mich schon ein paar Mal gefragt, wie das die Pilger im Mittelalter wohl gemacht haben. Die hatten keinen Reiseführer, keine Landkarten, keinen Kompass und der Weg war auch nicht mit blau gelben Muscheln markiert. Wenn ich mal keinen meiner kleinen blauen Helferlein sehe stresst mich das gleich. Sich zu verirren und den Weg vor und zurück zu laufen kostet extrem viel Energie besonders wenn man sich dann noch darüber aufregt. Einmal bin ich so wütend geworden, dass ich laut geflucht und den Wanderstock in den Boden gerammt habe. In dem Moment fuhr Gott sei Dank eine Frau mit dem Auto vorbei welche ich angehalten und nach dem Weg gefragt habe. Ich wäre ohne Reiseführer und die blau gelben Muschelwegweiser völlig aufgeschmissen. Lieber heute ein Pilger als im Mittelalter! Damals gab es auch noch wilde Tiere und Räuber welche den Pilgern aufgelauert haben.
Es war heute ziemlich heiss aber Gott sei Dank blies immer ein Wind. Musste zwar öfters meinen Sonnenhut festhalten weil es mir den ständig vom Kopf geweht hat aber dass war mir egal. Ich bin wieder an dem Punkt angelangt wo ich es kaum erwarten kann am nächsten Tag weiterzulaufen. Morgen wenn ich in Bénisson-Dieu ankomme habe ich meine ersten 100 km geschafft. Bin unheimlich Stolz auf mich! Werde Morgen früh und ohne Frühstück loslaufen. Den Kaffee trinke ich dann irgendwo unterwegs. Mit Essen habe ich es eh nicht so tagsüber. Heute habe ich 2 Äpfel und 1 Tomate gegessen, dafür abends wieder mein obligates Viergangmenu. Wäre ja schön, wenn ich am Ende meiner Pilgerreise ein paar Kilo leichter wäre.

Saint-Haon-Le Châtel, 29. Juli 2007 (25 km)
Heute Morgen hatte ich von Anfang an Mühe. Meine Füsse schmerzten und ich kam nie wirklich in einen Rhythmus. Vielleicht hat mir ja wirklich der Kaffee gefehlt heute Morgen. Gegen Mittag bekam ich dann auch noch Kopfschmerzen vielleicht war das ja schon Kaffeeentzug? Ich habe mich mühsam dahin geschleppt und als ich in Saint-Romain-La-Motte ankam habe ich zu St. Jacques und Gott gleichzeitig gebetet, dass es ein Café oder ein Restaurant gibt wo ich was Essen und einen Kaffee trinken kann. Ja und siehe da es hat geklappt. Normalerweise gehe ich immer zuerst in die Kirche wenn ich in einen Ort komme. Erstens um mich auszuruhen, mich zu sammeln, um meine Dankbarkeit auszudrücken und einfach um die Stille zu geniessen. Ich mag die Atmosphäre von katholischen Kirchen immer wie mehr. Dieses Mal steuerte ich aber zielstrebig auf das Restaurant zu welches mir schon von weitem zuwinkte und wurde freundlich aufgenommen und gut verköstigt. Einen Kaffee gab’s natürlich auch und meine kleine Pilgerwelt war wieder in Ordnung. Ich bin dann voll aufgetankt und frohgemut weitergewandert und auch die Füsse taten mir nicht mehr weh. Bis Saint-Haon-Le-Châtel waren es eigentlich nur noch 7 km wozu man normalerweise knapp zwei Stunden braucht. Es hat sich aber dermassen in die Länge gezogen bis ich endlich da war. Das letzte Stück zur Burg, wo auch die Gîte ist, ist wahnsinnig steil und ich bin mit hochrotem Kopf oben angekommen.

Jetzt bin ich mal wieder alleine in einer grossen Gîte aber mittlerweile macht mir das Alleinsein nicht mehr viel aus. Sogar das Essen im Restaurant ist nicht mehr so ein Alptraum für mich. Es wundert mich einfach, dass ich in sechs Tagen noch keinem einzigen Pilger begegnet bin. Die Einheimischen sagen auch es hätte ungewöhnlich wenige Leute unterwegs, es liege wahrscheinlich am Wetter. Wobei das Wetter bis auf den ersten Tag immer gut war. Schön, nicht zu heiss und es ging immer ein Wind.
Heute bin ich teilweise wirklich an meine Grenzen gekommen. Ich habe viel um Hilfe und Stärke gebetet auf Deutsch, Französisch und Englisch! Ja und es ist wirklich so, beten hilft. Gerade heute wo ich so am Anschlag war, habe ich immer wieder Hilfe erfahren. Man sagt ja, dass man als Pilger mit den Füssen betet und das stimmt irgendwie.
Mein Vertrauen in diesen Weg, in Gott, in St. Jacques, in mich wird immer grösser. Ich mag auch nicht mehr zwei Tage im Voraus reservieren weil sich meine Pläne ja doch immer wieder ändern und dann muss ich wieder absagen. Es hängt auch immer von meiner Tagesform ab wie weit ich komme und die kenne ich nicht schon am Abend vorher. Morgen mache ich wahrscheinlich nur eine kurze Etappe, ich glaube ich muss meine Füsse schonen. Ich werde auch den Wecker nicht stellen.
Es ist sehr schön hier in Saint-Haon-Le-Châtel. Wieder einmal ein Kontrastprogramm zu gestern, man weiss eben nie was Gott mit einem vorhat. Der heutige Tag war schwer aber jetzt fühle ich mich sehr gut und im reinen mit mir und der Welt. Ich glaube ich werde mein Leben lang ein Pilger sein, das Leben ist doch auch wie eine lange Pilgerschaft. Unterwegs sein, immer wieder an einem anderen Ort, nie wissen wo man ankommt. Kein Tag ist wie der andere, alles ist immer wieder neu, wie wenn man in einem Buch eine neue leere Seite aufschlägt. Dies ist wahrscheinlich der Hauptgrund, dass man so im Moment ist und sein ganzes Leben hinter sich lässt. Man vergisst es einfach, es ist nicht mehr wichtig. Das einzige was zählt ist der nächste Schritt.

Charizet, 30. Juli 2007 (22 km)
So jetzt ist es soweit, ich bin im Paradies gelandet, mit schmerzenden Füssen zwar aber überglücklich! Ich bin in einer Gîte, L’Eau du Puits, in der Nähe von Saint Jean Saint Maurice (Mann sind das immer komplizierte Ortsnamen!!!) untergekommen und zum ersten Mal bin ich nicht alleine, es ist himmlisch! Das Haus ist wunderschön, die Umgebung traumhaft und die Gastgeber super symphatisch! Es hat schon gut angefangen weil der Weg zur Gîte ausnahmsweise mal gut ausgeschildert war. Bei meiner Ankunft wurde ich herzlich begrüsst und bekam gleich mal ein Bier. Nathalie, meine Gastgeberin wäscht mir sogar meine Kleider in der Waschmaschine! Ich muss zum ersten Mal nicht waschen heute Abend. Was für ein Luxus vor allem werden meine Hosen wieder einmal so richtig sauber.
Im Moment habe ich das Gefühl, dass es von Tag zu Tag besser und schöner wird. Ich fühle mich auch immer leichter und unbeschwerter. Ich könnte den ganzen Tag fotografieren, muss mich richtig zurückhalten sonst komme ich nämlich nicht mehr zum laufen. Frankreich ist so ein wunderschönes Land, habe mich total darin verliebt und würde am liebsten auswandern. Ein schönes Fleckchen am Jakobsweg und dann mache ich auch eine Gîte auf und verwöhne die müden, hungrigen Pilger. Ich sollte mich in einen Franzosen verlieben der auch ein Pilger und Jakobswegverrückt ist. Träumen ist ja erlaubt oder?
Sass mit vier Französinnen welche mit Eseln unterwegs sind und meinen Gastgebern Nathalie und Dominique an einem grossen Tisch. Zuerst gab es einen Apèro mit Rosé und vielerlei Gebäck und einer herrlichen Aussicht auf die Umgebung. Ja und das Essen war so köstlich! Ich habe gegessen wie Gott in Frankreich. Jetzt weiss ich wenigstens woher dieser Spruch kommt. Es wurde viel geredet und manchmal konnte ich mit meinem Französisch nicht ganz mithalten. Vor allem auch weil die Franzosen wenn sie unter sich sind sehr schnell reden. Aber ich habe es trotzdem genossen in Gesellschaft zu sein.
Habe übrigens zum ersten Mal gut geschlafen! Kopf aufs Kissen, Ohropax rein und weg war ich bis zum Morgen. Vielleicht weil ich nicht alleine im Zimmer war oder vielleicht weil man im Paradies einfach nicht schlecht schlafen kann?

Pommiers, 31. Juli 2007 (19 km)

Jetzt bin ich zum ersten Mal auf einem Campingplatz in einem Wohnwagen gelandet. Ich hätte mehr auf Campingplätze ausweichen sollen aber ich wusste ja nicht, dass sie extra Wohnwagen für Pilger bereitstellen. Den Geldtrip kann ich nun endgültig loslassen.
Willi der arme Schatz ist im Spital in Wollhausen. Wahrscheinlich wird er gerade operiert. Er hat sich an diesem vierten Tag dermassen übernommen, dass er sich einen Leistenbruch zugezogen hat. Der kleine Spinner, immer muss er übertreiben! Hoffe, dass alles gut geht ist aber glaube ich keine grosse Sache, falls sie nicht noch was anderes finden. Trotzdem er kriegt eine Narkose. Ich habe in der Kirche von Pommiers eine Kerze für ihn angezündet, jetzt kann nichts schief gehen denn er hat Schutz von ganz oben!
Heute Morgen bin ich ganz beschwingt und leichtfüssig in Charizet gestartet. Ich hatte das Gefühl Flügel zu haben und um 11.00 hatte ich schon die Hälfte meiner heutigen Etappe zurückgelegt! Nach Amions habe ich mich dann fast im Wald verlaufen. Mein Instinkt oder die Inspiration Gottes haben mir plötzlich geraten umzukehren. Die Etappe heute war entweder schlecht ausgeschildert oder ich habe die Zeichen einfach nicht gesehen. Ansonsten finde ich den Weg ja schon fast blind! Ich habe auch nicht mehr so Angst mich zu verlaufen. Ich denke, OK wenn ich falsch bin laufe ich halt einfach zur letzten Markierung zurück. Ich bin total froh über den Führer von Chamina. Da es Karten drin hat und ich einen Kompass habe, kann ich mich sehr gut orientieren. Es ist absolut ein Muss beide Reiseführer zu haben.
Wenn ich das richtig sehe sind es noch sechs Etappen bis Le Puy! In Montbrison möchte ich schauen, ob ich eine Landkarte von der Voie Bolène finde. So ganz ohne Karte unterwegs zu sein ist mir ein bisschen unheimlich. Wenn ich denke, wie oft ich um die Karten in meinem Reiseführer froh war.
So jetzt kriege ich dann gleich etwas leckeres zu Essen und Morgen geht es wieder los ohne Kaffe und Frühstück. Wenn ich nach Pommiers zurücklaufen mag hole ich mir noch was aus der Bäckerei Morgen früh. Aber auch das Essen verliert seine Wichtigkeit!

Montverdun, 1. August 2007 (21 km)
Was für ein Tag! Heute Morgen habe ich verschlafen und war erst um 8.45 auf der Piste. Ich habe mir noch schnell zwei Croissants aus der Bäckerei geholt und zwei schöne grüne Äpfel. Ich bin nicht so geflogen wie gestern, es war eher harte Arbeit heute. Mal wieder ohne Kaffee unterwegs. Ich glaube ich bin kaffeesüchtig ohne läuft es bei mir nicht gut! Dieses Mal musste ich aber nicht so lange auf meinen Kaffee warten. Im nächsten Ort gab es eine Bar, der Kaffee war zwar miserabel aber immerhin sah er aus wie Kaffee.
Die Toiletten auf dem Campingplatz waren unter aller Sau und somit konnte ich mein morgendliches Geschäft nicht verrichten. Ich hatte ein dringendes Bedürfnis und in meiner Kaffeebar gab es zwar ein WC aber vorerst kein Licht und keine WC-Brille zum absitzen. Wieder nichts, deshalb A-Loch zuklemmen und weitermarschieren! Ich habe innerlich gebetet, dass ich ein nettes, ungestörtes Plätzchen finde wo ich endlich loslegen kann. Und tatsächlich plötzlich war da ein kleiner Wald in den ich mich zurückziehen konnte. Puuuhhh das war knapp!
Frankreich ist das Land des Stacheldrahts, alles wird eingezäunt damit man ja nicht den Weg verlässt. Der Nachteil ist, dass wenn man mal muss, es schwierig ist einen ungestörten Platz zu finden, da man sich am Wegesrand ziemlich ausgestellt vorkommt auch wenn nicht viele oder gar keine Leute vorbeikommen. Der Vorteil ist, dass man praktisch nie Viehweiden überqueren muss darüber bin ich sehr froh.
Die Etappe war wieder einmal sehr hart heute und ich hatte irgendwie keine Lust. Ich konnte aber akzeptieren, dass es heute einfach so ist und trotzdem weiterlaufen. Meistens lief ich auf Asphalt und es war brütend heiss. Der heisseste Tag überhaupt seit ich unterwegs bin. Bei jedem noch so kleinen Schatten bin ich einen Moment stehen geblieben und habe die Kappe vom Kopf genommen um mein Hirn zu entlüften. Es hat ja auch niemand gesagt, das Pilgerleben sei ein Zuckerschlecken aber heute war es einfach zum davonlaufen.

In Montverdun wollte ich eigentlich im ehemaligen Kloster „Au Pic“ übernachten, die hatten aber leider keinen Platz für mich. Ist mal wieder so eine elende Reisegruppe abgestiegen und für die armen Pilger hat es dann keinen Platz mehr, ein bekanntes Problem in Frankreich. Eigentlich finde ich, dass sie immer 1 – 2 Plätze für Pilger freihalten sollten. Die Dame am Telefon hat mich dann auf den Campingplatz auf der Farm verwiesen worüber ich sehr froh war. Trotzdem war ich natürlich enttäuscht, nicht „Au Pic“ übernachten zu können.
Und so bin ich also hier gelandet, einem Campingplatz auf dem Bauernhof. Hier stehen ein paar einzelne Wohnwagen und in einem davon bin ich. Es ist wunderschön hier und ich muss sagen Gott hat das wieder mal richtig gut hingekriegt. Vor mir ist ein kleiner Weiher mit Fröschen drin. Sie quaken aber noch nicht, mal schauen wann sie mit ihrem Konzert loslegen. Am Rande des Weihers steht eine Trauerweide und ringsum hat es ganz viele Blumen. Ein kleines idyllisches Plätzchen und jetzt bin ich richtig froh, hier gelandet zu sein und nicht im ehemaligen Kloster. Wer weiss was mich dort erwartet hätte? Auch die sanitären Anlagen sind sauber nicht wie gestern in Pommiers. Ich fühle mich hier sauwohl!
Morgen will ich wieder früh los und werde dieses Mal wieder den Wecker stellen. Möchte früh in Montbrison sein damit ich Zeit habe zum Landkarten suchen. Vielleicht finde ich ja auch einen Schuhmacher der mir ein weiteres Loch in meinen Gurt machen kann. Ich habe dermassen abgenommen, dass ich meine Hose mit einer Sicherheitsnadel enger machen muss.
Willi geht es wieder besser, er hat die Operation gut überstanden. Die OP hat vier Stunden gedauert. Scheinbar war alles verwachsen und sie haben eine Probe eingeschickt. Das gefällt mir gar nicht und ich hoffe sie finden nichts Schlimmes. Willi gibt mir morgen Bescheid.
Gestern ist vor mir auf dem Weg ein Reh über den Weg gelaufen. Dies ist schon das zweite Reh welches ich sehe. Heute ist mir ein kleiner süsser Hund ca. eine halbe Stunde nachgelaufen. Habe ihm immer gesagt er solle nach Hause gehen aber er hatte sich sichtlich verlaufen. Im nächsten Ort habe ich dann eine Frau angesprochen ob sie den Hund kenne. Sie meinte Nein hat ihn dann aber übernommen. Ich hoffe, dass sie den Halter gefunden hat. Ich meinerseits war froh, dass mir der Hund nicht mehr nachlief wobei seine Gesellschaft auch sehr angenehm war. Aber ich weiss von der Via Podiensis her, dass diese Hunde dann nicht mehr nach Hause finden.
So ich wasche jetzt noch meine Wäsche und dann mache ich Feierabend. Möchte mich endlich hinlegen und die Beine strecken.
Ach übrigens habe ich heute, nachdem ich neun Tage unterwegs bin, die erste Pilgerin getroffen. Es hat sich leider nicht ergeben, dass wir miteinander sprechen konnten. Sie hat ein Zelt dabei und schläft im Garten des ehemaligen Klosters.

Montbrison, 2. August 2007 (16 km)
Mann, ich bin so was von fertig. Meine Füsse tun endlos weh dabei war die Etappe gar nicht so lange nur 16 km. Eigentlich wollte ich in Moingt, 2 km nach Montbrison auf dem Campingplatz übernachten aber sie hatten leider keinen Platz. Deshalb musste ich in Montbrison in einem Hotel bleiben. Hotels mag ich nach wie vor nicht so gerne, bin lieber in einer Gîte oder im Wohnwagen. Dafür kriege ich Morgen wieder einmal Frühstück! Es hat eben alles seine Vor- und Nachteile! Ist auch gut so den die Etappe Morgen wird auch wieder anstrengend. Ich gehe von knapp 400 m auf 760 m rauf und am nächsten Tag dann auf 1100 m. Gut kann ich den Aufstieg in zwei Etappen machen bin nämlich kein Hirsch wenn es rauf geht.
Habe mir Karten und eine Beschreibung der Voie Bolène besorgt. Es ist einfach beruhigender etwas dabei zu haben. Die letzte Karte bis Le Puy fehlt mir zwar, war leider nicht erhältlich.
Heute Nacht gab es ein heftiges Gewitter. Ich war froh, in meinem kleinen gemütlichen Wohnwagen zu liegen. Musste zwar in einer Blitzaktion die Luke am Dach schliessen weil es reingeregnet hat. Habe nicht sehr gut geschlafen aber ich schlafe ja meistens schlecht. Meistens wache ich um 3.00 Uhr morgens auf oder schon um Mitternacht und kann dann nicht mehr einschlafen. Morgens könnte ich dann schlafen nur muss ich dann eben aufstehen.
Als ich um 8.00 Uhr los wollte fing es gleich mal an zu regnen. Oje dachte ich und stürzte mich in meine knallrote Pelerine. Vor allem hatte ich Angst vor einem nächsten Gewitter. Ich musste an die Pilgerin denken welche im Garten des ehemaligen Klosters „Au Pic“ übernachtet hat. Ich hoffe sie hat die Nacht gut überstanden! Möchte um nichts in der Welt mit ihr tauschen.
Ich bin dann los, mal wieder ohne Frühstück, nur mit einem Apfel in der Hand. Später gab es dann noch ein paar Krümel meiner Biskuits welche ich immer noch von zu Hause dabei habe. Es war total schwül und der Schweiss ist mir nur so runtergelaufen zudem wollten mich die Bremen zum Frühstück verspeisen. Solange man sich bewegt haben sie kaum eine Chance anzusetzen aber wehe wenn man stehen bleibt dann schlagen sie zu. Ich bin dann halt armwedelnd immer weiter gelaufen. Vielleicht habe ich zu wenig Pausen gemacht und bin deshalb so kaputt.
So mal schauen, was der nächste Tag so bringt, heute fühle ich mich eher niedergeschlagen.

La Cruzille, 3. August 2007 (18 km)
Heute war ein wunderschöner Tag. Schöne Wege, kaum Asphalt und eine wunderschöne Umgebung. Die Füsse tun mir auch nicht mehr so weh wie gestern. Letzte Nacht habe ich ca. um 3.00 Uhr morgens zwei Tabletten Panadol geschluckt und meine Füsse mit Dolobene eingerieben, so sehr haben mich meine Füsse geschmerzt. Ich war mir gar nicht sicher ob ich am nächsten Tag weiterlaufen kann. Aber morgens waren die Schmerzen weg und nach einem guten Frühstück (Brot, Salami und Früchte) bin ich dann um 8.00 Uhr los. Es war leicht bewölkt und hatte den ganzen Tag nicht mehr wie 25 Grad. Ich habe mal wieder tierisch viele Fotos geschossen. Meine Niedergeschlagenheit von gestern war wie weggeblasen.
Morgen geht es nun ziemlich steil rauf, bis Montarcher sind es 9 km. Gut, dass ich die schwierige Strecke morgens mache wenn ich noch frisch bin. Ab Egarande wird es dann wohl keine blau gelben Muschelwegweiser mehr geben da ich die Voie Bolène gehe und den Jakobsweg verlasse. Wie ich sie vermissen werde! Mit den Karten und der Beschreibung kann eigentlich nicht viel schief gehen. Die nächste Ausgabe des Chamina Reiseführers hat bestimmt beide Varianten drin.
Heute habe ich mich ein paar Mal verlaufen aber es stresst mich nicht mehr. Entweder laufe ich zurück oder ich suche mir mittels Karte und Kompass einen anderen Weg der mich wieder auf den Jakobsweg zurückführt.
Ich habe mal wieder die ganze Gîte für mich alleine. Mami hat mich gefragt, wo denn all die anderen Pilger sind. Tja, das möchte ich auch gerne wissen! Es sind halt nur sehr wenige Leute unterwegs und dann ist es eher Zufall, dass man am selben Ort und in der gleichen Gîte absteigt. Aber es stört mich nicht mehr allein zu sein. Natürlich hätte ich gerne ab und zu Gesellschaft aber ich nehme es halt wie es kommt. Ich kann es ja eh nicht ändern. Am besten man nimmt einfach alles wie es kommt ob man es mag oder nicht. Einen Tag gefällt es einem wo man übernachtet, an einem anderen nicht. An einem Tag gefällt einem der Weg, an einem anderen nicht. An einem Tag kriege ich einen Kaffee, an einem anderen nicht. Wenn einem etwas nicht gefällt kann man sich immer fragen, ob man daran was ändern kann. Wenn die Antwort Nein lautet gibt es nur eine Lösung: Es so hinnehmen wie es ist. Man kann sich auch darüber aufregen, nur bringt das leider nichts. Wenn man an der Situation etwas ändern kann sollte man es natürlich tun. So ich werde jetzt meine philosophischen Betrachtungen beenden und langsam ins Bett gehen.
Morgen möchte ich ganz früh los am besten schon um 7.00 Uhr. Es hat auch einen Vorteil wenn es kein Frühstück gibt; man kann früh los!

Usson-en-Forez, 4. August 2007 (21 km)
Bin heute um 7.30 Uhr los. Wunderschöner Tag, stahlblauer Himmel, nicht zu heiss und eine wunderschöne Strecke. Um 10.30 Uhr war ich bereits in Montarcher und freute mich bereits auf den Kaffee welcher mir auf den Wegweisern vorangekündigt wurde. Nur hatte das Café wegen Umbau leider geschlossen. Pech! Dies sollte nicht die einzige Pechsträhne des heutigen Tages sein...
Montarcher liegt wunderschön auf einem Hügel mit prächtiger Aussicht. Den steilen Aufstieg auf 1100 m hatte ich hinter mir, er war eigentlich gar nicht so schlimm. Bin langsam ein alter Pilgerhase! In Egarande teilt sich der Jakobsweg in den GR3 und in die Voie Bolène. Zu meiner Freude bleiben mir die blau gelben Muschelwegweiser erhalten. Es sind beide Wege markiert!
Gleich nach Egarande ging ich auf einem kleinen, buschigen Weg mitten durch die Pampa. Der Weg war teilweise sehr morastig und es kam was kommen musste, ein falscher Tritt und ich versank bis zum Knie mit dem linken Bein im Sumpf! Der Sog war so gross ich konnte das Bein fast nicht mehr rausziehen. Auch hatte ich Angst, dass mein Wanderschuh drin bleibt, ich sah mich schon nur mit einem Schuh weiterlaufen. Gott sei Dank stand mein zweites Bein sicher auf einem Stein, denn wäre auch mein rechtes Bein im Sumpf versunken wäre ich wahrscheinlich alleine nicht mehr rausgekommen. Ich hätte zum ersten Mal meine Trillerpfeife benutzen oder per Handy Hilfe herbeirufen müssen. Ich war echt verzweifelt und habe um Hilfe und Stärke gebetet mich aus dieser misslichen Situation zu befreien. Mir kam dann plötzlich in den Sinn, dass man sich nicht zu heftig bewegen soll wenn man im Morast versinkt. Ich bin dann mit der linken Hand unter den Wanderschuh um ihn festzuhalten und habe dann mit grosser Mühe und viel Kraft das Bein langsam rausgezogen. Der Wanderstock war mir auch noch eine Hilfe da ich mich damit auf der anderen Seite abstützen konnte. Als ich endlich wieder auf trockenem Boden war musste ich mich erstmal hinsetzen, ist mir ziemlich eingefahren das Ganze und hat mich auch geschwächt. Ich musste mich erstmal vom Schreck erholen. Ich zog meinen Schuh aus, goss das Wasser aus dem Schuh und wrang meine Socke aus. Das erstaunliche war, dass mein Schuh innen nur nass aber kein Schlamm drin war. Ich weiss nun wie man sich fühlen muss wenn man in einem Moor versinkt, ist echt Scheisse und man ist ziemlich hilflos. Ich bin zum ersten Mal in eine sehr unangenehme Situation gekommen. Das hätte ins Auge gehen können! Jetzt kann ich schon wieder darüber lachen vor allem über die Vorstellung nur mit einem Wanderschuh weiterlaufen zu müssen! Ich sah aus wie ein Schwein welches ein Schlammbad genommen hat.
Ich bin im Hotel Rival untergekommen, was ein Glücksfall ist, da sonst alles ausgebucht ist. Eigentlich wollte ich auf dem Campingplatz übernachten aber die haben keine Wohnwagen. Die Hotelwirtin war so nett mir meine Hosen zu waschen, im Lavabo hätte ich sie wahrscheinlich nicht sauber bekommen.
Jetzt bin ich total happy hier zu sein. Sitze draussen, trinke mein wohlverdientes Panaché und geniesse das Nichtstun. Vor allem geniesse ich es wieder sauber zu sein und saubere Klamotten anzuhaben!
Willi macht sich Sorgen um mich, dass finde ich total süss und berührt mich. Es ist schön wenn sich jemand Sorgen um einen macht.
Beim Nachtessen sass ich mit drei anderen Leuten an einem Tisch und es war sehr nett. Es war ein spezieller Abend und sie hatten einen Zauberer engagiert, der war total lustig. Habe viel gelacht. Die Geselligkeit hat mir sehr gut getan. Ça va bien se passer...

Chomelix, 5. August 2007 (20 km)
Ja heute gönne ich mir etwas. Dies ist die teuerste Übernachtung des ganzen Jakobsweges! Die Übernachtung mit Frühstück kostet allein 62.50 € und ich habe noch nicht mal gegessen! Ich werde hier gut und gerne 100 € liegen lassen. Man gönnt sich ja sonst nichts! Ich muss wohl den Monsieur am Telefon falsch verstanden haben als er mir gesagt hat das Zimmer koste 25 € plus 6.50 € für das Frühstück. Aber anstatt mich darüber aufzuregen, dass es endlos teuer ist werde ich mir jetzt einfach etwas gönnen. Gott möchte mich hier haben und er möchte, dass ich mir etwas Gutes tue und endlich meinen Geldtrip loslasse. OK, heute Abend lasse ich mich verwöhnen.
Nach Le Puy sind es ca. noch 30 km, das schaffe ich wohl nicht an einem Stück. Ich werde deshalb nochmals in St. Paulien (15 km) oder in Polignac (25 km) übernachten müssen.
Ich bin heute Morgen erst um 8.15 los. Als ich um 7.15 Uhr runter bin um zu frühstücken war da leider niemand. Um 7.30 ist die Madame dann endlich gekommen und da noch nichts vorbereitet war hat es halt gedauert. Konnte ihr aber nicht böse sein schliesslich hat sie mir meine verdreckten Hosen gewaschen! Bin ich halt ein wenig später dran was soll’s.
Das Leben eines Pilgers ist so simpel, es sind die kleinen Dinge des Lebens welche einen glücklich machen: Ein Bett, eine Dusche, etwas zu essen und ab und zu ein bonne route, ein bon courage, jemand der einem die Hose wäscht, eine freundliche Begrüssung, ein kleines Bier als Belohnung nach einem anstrengenden Tag, ein Kaffee. Diese kleinen Dinge des Lebens machen einem total glücklich und endlos dankbar.
Heute war ein wunderschöner Tag. Es wird langsam immer heisser aber ich bin die meiste Zeit des Tages im Wald gelaufen. Erst die letzte Strecke bis nach Chomelix war richtig heiss da auf Asphalt.
Ich kann es kaum fassen, dass ich Übermorgen in Le Puy bin. Es ist eine Wahnsinns Leistung welche ich hier vollbracht habe oder bald vollbringen werde. Ganz alleine fast 300 km zu wandern. Unglaublich! Ich bin stolz auf mich. Meine Familie und Willi sind auch stolz auf mich. Gönne mir gerade das zweite Bierchen und unterhalte mich angeregt mit dem Kellner. Zum Abschied sagt er noch: „Es ist mir eine Ehre Sie heute Abend bedienen zu dürfen“. Schön nicht?
Ich möchte echt grosszügiger werden mit mir selber. Ich habe dieses ewige knausern an meiner Person satt. Ich verdiene es verwöhnt zu werden auch von mir selber! Ich bin immer für irgendetwas in ferner Zukunft am sparen und gönne mir selbst nichts oder nur wenig. Immer diese Angst zu wenig Geld zu haben. Das muss aufhören! Heute Abend werde ich das Menu nehmen welches ich will und nicht einfach das billigste! Schliesslich zahle ich ja mit Visa!

Heute hatte ich gar keine unangenehmen Zwischenfälle, habe immer noch beide Wanderschuhe. Das gestern war ja wirklich ein Schreck! Mein linker Schuh war heute Morgen Gott sei Dank wieder trocken. Habe ihn vor dem zu Bett gehen noch mit WC-Papier gefüllt. Was diese Schuhe so alles aushalten müssen, bin aber sehr zufrieden. Keine Blasen, das Laufen auf dem Asphalt geht auch besser als letztes Mal wobei ich immer noch Schmerzen in den Füssen habe. Morgens sind die Schmerzen aber jeweils weg. Ich massiere meine Füsse auch jeden Abend und manchmal auch morgens bevor ich meine Schuhe wieder anziehe. Meine Füsse sind momentan auch das wichtigste, ohne sie geht gar nichts. Meine Knie machen mir überhaupt keine Probleme was vielleicht auch an meinen schockabsorbierenden Einlagen liegt.
Ich glaube ich werde noch ein Nickerchen machen vor meinem Festmahl heute Abend.
OK, es waren 95 € dies entspricht ca. 160.- Sfr. Konnte mit Visa bezahlen somit alles im grünen Bereich. Wird als Luxusetappe abgebucht.
Habe jetzt beschlossen zwei kurze Etappen von jeweils 15 km zu machen. Kann es also locker angehen. Möchte aber trotzdem früh aufstehen da es immer heisser wird.

Le Puy, 6. August 2007 (30 km)
Ich kann es immer noch nicht fassen, ich bin in Le Puy!!! Angekommen um 19.00 Uhr nach einem Marathon von 30 km! Wollte eigentlich in Polignac übernachten aber leider war alles voll. Ein älteres Paar hat mir sogar angeboten mich irgendwo hinzufahren aber das wollte ich nicht. Ich bin ein Pilger und gehe zu fuss oder gar nicht. Nachdem ich etliche Telefonanrufe getätigt hatte, habe ich dann beschlossen bis Le Puy durchzulaufen. Ich glaube ich habe es nur geschafft weil ich konstant gebetet, gesungen und nicht auf meinen Verstand gehört habe. Es war ergreifend als ich oben auf dem Balkon über Le Puy angekommen bin wo man zum ersten Mal die Stadt mit dem Saint Michel l'Aighuille, mit der Statue von Notre Dame du Puy und der Kathedrale sieht. Ich musste gleich mal weinen, es hat mich total berührt wieder hier zu sein. Le Puy wird immer eine spezielle Stadt für mich bleiben!
Es ist dann aber noch ein langer Weg bis man in der Kathedrale von Le Puy ankommt. Zuerst läuft man den Balkon der Stadt entlang, dann geht es tierisch lange runter und zu guter letzt muss man den Berg wieder rauf steigen um oben bei der Kathedrale anzukommen! Diese Stadt sitzt nämlich auf diversen Vulkankegeln!
Endlich in der Kathedrale angekommen habe ich mich vor die schwarze Madonna gesetzt. Ich habe zwei Kerzen angezündet, eine vor der schwarzen Madonna und eine vor der Statue von St. Jacques. Man kann auch ein Gebet oder ein Dankesbrief schreiben, was ich gemacht habe, und den Brief bei der Statue einwerfen. Ich weiss nicht was es ist, was mich in dieser Kathedrale so ergreift, aber es berührt mich hier zu sitzen und ich kann mich fast nicht mehr davon lösen.
Mein erster Besuch war aber kurz, denn es was schon spät und ich musste den Accueil von St. Georges noch finden. Ich habe dann eine Frau nach dem Weg gefragt und die hat gesagt ich solle mich beeilen damit ich noch reinkomme! Ich stand dann vor dem Tor und niemand machte auf. Ich wollte schon anrufen, doch dann kam ein Pärchen und öffnete die Tür mit einem Code. Ich bin dann mit Ihnen reingegangen und sie haben mich dann auch zur Anmeldung geführt. Der Accueil von St. Georges ist riesig und hat ca. 240 Plätze!
Ich möchte ein oder zwei Tage hier bleiben bevor ich wieder in mein normales Leben zurückkehre.
Ich bin nun ca. eine Stunde hier und es regnet ziemlich heftig. Es blitzt und donnert und ich bin richtig froh hier drin zu sein und nicht da draussen! Der Donner hat mich heute den ganzen Tag begleitet und ich habe die ganze Zeit gebetet, dass das Gewitter an mir vorbeigeht. Gott hat wirklich seine schützende Hand über mich gehalten, denn irgendwie bin ich dem Gewitter immer hinterher gelaufen (oder hat er es vor mir weggestossen?). Ich wüsste wirklich nicht was ich täte oder tun müsste wenn ich wirklich mal in ein Gewitter reinlaufen würde. Bin froh, dass ich die Erfahrung heute nicht machen musste, die Angst davor hat mir schon gereicht.

Heute werde ich nicht mehr rausgehen, heute Abend ist meine Notfallration fällig. Mein Salat mit Thunfisch und Reis und zum Dessert gibt es ein Brioche! Habe mir einen Stuhl vor dem Fenster platziert, die Füsse hochgelegt und esse mit Genuss meinen Salat. Es regnet in Strömen und ich geniesse es zuzusehen und im trockenen zu sitzen.
Das Dessert nehme ich stehend ein und platziere mir dazu noch ein Kissen am Fenster damit es bequemer ist. Gerade als ich mein Brioche essen will, kommt gleich neben mir ein Kopf zum Fenster raus und wir erschrecken uns beide sehr. Es ist ein Pilger aus Belgien welcher den ganzen langen Weg von zu Hause bis hierher gelaufen ist. Morgen geht er weiter bis Montbonnet. Dies war letzten Herbst auch meine erste Etappe. Da war ich ziemlich fertig nach einem stürmischen Tag und habe überlegt abzubrechen. Wir unterhalten uns lange und es ist ein schönes Gespräch. Genau die Art von Gesprächen welche ich bisher auf meinem Weg vermisst habe. Schon schade, dass ich gerade jetzt aufhören muss wo ich endlich andere Pilger treffe. Aber so ist es nun Mal und schon bald im Herbst werde ich meinen Weg ja wieder fortsetzen, diesmal auf der Via Podiensis und nicht auf einer Nebenstrecke!
Morgen früh um 7.00 Uhr gehe ich zur Pilgermesse und da ich dieses Mal einen Wecker dabei habe werde ich auch nicht verschlafen wie letztes Mal.

Le Puy, 7. August 2007
War heute in der Pilgermesse. Es hatte sehr viele Leute, zw. 70 – 100! Eine grosse Gruppe mit jungen Pilgern aus Belgien ist heute Morgen aufgebrochen, sie sehen aus wie Pfadfinder. Ziemlich mieses Wetter für einen ersten Tag, denn es regnet immer noch und ist neblig aber mir ist es ja auch nicht besser ergangen.
Die Pilgermesse hat mich berührt, komisch wenn man bedenkt, dass ich einmal alles was mit Kirche und Christentum zu tun hat völlig abgelehnt habe. Die Kathedrale in Le Puy und auch die in Conques haben es mir sehr angetan. Auch wenn ich weiss, dass Gott in uns und überall ist, sind Kirchen und Kathedralen trotzdem spezielle Orte für mich. Habe mir einen kleinen Schlüsselanhänger mit einer silbernen Muschel und dem Emblem von Le Puy gekauft zur Erinnerung und eine Gedenkmedaille wie ich sie auch schon von Conques habe.
Die Zugtickets für Morgen habe ich auch schon organisiert um 8.43 geht es los, zurück in die Heimat. Habe gemischte Gefühle nach Hause zu fahren, bin auch traurig, dass ich meinen Weg hier nicht fortsetzen kann. Es ist schwierig auf dem Jakobsweg zu starten und es ist noch schwieriger wieder aufzuhören. Fühle mich etwas verloren und auch noch müde und erschöpft von gestern. Ich mache mir heute einen ruhigen Tag.
Es hat jetzt mal aufgehört zu regnen, vielleicht schaffe ich es ja doch noch auf den Saint Michel l'Aighuille. Ist aber auch wieder anstrengend sind nämlich endlos viele Stufen bis ganz oben.
Nun war ich doch noch auf dem Saint Michel l'Aighuille, war gar nicht so anstrengend. Man hat eine schöne Aussicht, bei schönem Wetter ein noch viel schönere. Auf dem Gipfel ist eine kleine Kirche oder Kapelle. Was ich Kirchen liebe im Moment! Es hatte auch noch eine Ausstellung über die Entstehungsgeschichte von Le Puy und dem Saint Michel l'Aighuille, war sehr spannend. Bin dann noch ein wenig in Le Puy rumgeschlendert, habe ein Bier getrunken und gefroren. Habe beschlossen zurück in mein Zimmer zu gehen und mich ins Bett zu legen!
Das lustige ist, dass mein Heimweg zum Accueil St. Georges durch die Kathedrale hindurch führt man kommt also gar nicht daran vorbei. Bin sicher noch eine Stunde bei St. Jacques und der schwarzen Madonna gesessen. Bin so gerne da und kann mich kaum losreissen. Habe gebetet und geweint und mich für die Unterstützung bedankt welche ich auf dem Weg erfahren habe. Gott und St. Jacques hielten die ganze Zeit ihre schützende Hand über mich. Habe es erst ab dem vierten Tag gespürt, als mein Verstand aus dem Weg war aber von da an waren sie konstant bei mir. Ich habe immer ihre Präsenz gespürt. Ich habe gespürt, dass ich nicht alleine bin und beschützt werde und das alles was passiert das Beste ist für mich, in diesem Moment.
Wenn man auf dem Jakobsweg läuft lässt man für kurze Zeit sein ganzes Leben hinter sich, man vergisst es förmlich und ist nur noch in diesem Moment. Nur noch der nächste Schritt zählt. In einem französischen Pilgerbuch habe ich gelesen: „Marcher pour perdre la peur de la vie“. Dies hat mich berührt weil ich tief drin in mir genau diese Angst spüre, diese Angst davor wirklich zu leben.
Heute Morgen in der Pilgermesse habe ich ja noch was ganz peinliches Unterschlagen. Ich habe nämlich zum ersten Mal in meinem Leben eine Hostie bekommen. Der Kardinal hat gesagt, dass alle diesen Segen erhalten können auch jene die nicht in der katholischen Kirche sind. Also bin ich ganz mutig nach vorne gegangen, direkt zum Kardinal und habe wie ein hungriger Vogel meinen Mund aufgesperrt. Als ich wieder an meinem Platz war habe ich gesehen wie alle die Hostie in die Hand bekamen und ich Trottel sperre den Mund auf. Das war ja so was von peinlich. Der Kardinal hat nicht mal mit der Wimper gezuckt aber bestimmt hat er mich als ungläubige erkannt. Wobei ich ja an Gott glaube aber nicht an die Institution der Kirche.
Mein letzter Abend in Le Puy. Nach dem Abendessen mache ich noch einen kleinen Spaziergang durch das nun menschenleere Le Puy. Man wähnt sich im tiefsten Mittelalter wenn man so durch die leeren Gassen läuft. Ich hänge sehr an diesem Ort, an der Kathedrale, an der Bedeutung die es hat für die Pilger. Nächstes Mal wenn ich komme werde ich den Cloître (Kreuzgang) besichtigen und die Notre Dame du Puy hinaufsteigen. Ja, nächstes Jahr komme ich wieder wenn ich zu meiner grossen Pilgerwanderung aufbreche.
Weiss gar nicht ob ich morgen nochmal in die Pilgermesse soll aber in die Kathedrale gehe ich auf jeden Fall noch um mich zu verabschieden und dann werde ich meinen Rucksack schultern und die Rue des Tables hinunterlaufen, wie damals im Herbst als ich Richtung Conques loszog. Nur dieses Mal wird mein Weg mich zum Bahnhof führen und dann zurück nach Hause.

Ultreia! Ich werde meine Pilgerreise Ende September in Conques fortsetzen und bis Moissac wandern.