Sonntag, 10. Mai 2009

Die Zeit nach dem Camino

Ich will mal probieren die acht Monate nach Rückkehr von meinem Camino zusammenzufassen und berichten wo ich heute stehe.

Als ich am 14. August 2008 nach Hause gekommen bin, konnte ich die ersten paar Monate bei meinen Freunden wohnen. Da fühlte ich mich sehr gut aufgehoben und konnte einfach mal ankommen. Ich war sehr froh, dass ich nicht in meine alte Wohnung, meinen alten Job und mein altes Leben zurückkehren musste. Ich hatte nur ganz wenig Sachen mit mir wie auf dem Camino und lebte sehr bescheiden auch weil meine fianzielle Situation keine grossen Sprünge erlaubte. Als ich zurückkam lag nämlich erst einmal eine Steuerrechung von SFr. 6000.- auf dem Tisch und ich hatte keine Ahnung wie ich die bezahlen sollte. Schlussendlich hat mir Cécile das Geld geliehen und ich konnte etwas entspannen.

Habe mich dann mal arbeitslos gemeldet aber bis zum Tage wo ich wieder angefangen habe zu arbeiten keinen einzigen Rappen bekommen. Die haben mich auf den Tag genau so lange gesperrt bis ich wieder angefangen habe zu arbeiten. War natürlich Zufall die konnten das ja nicht wissen. Für mich war klar, dass ich so schnell wie möglich einen Job will und nicht lange beim Arbeitslosenamt bleiben möchte. Ich hatte einfach keine Lust auf diese Bevormundung und Kontrolle. Mit dieser Energie bin ich dann auf Jobsuche gegangen und fünf Wochen später hatte ich auch schon einen Job in der Tasche.

Ich habe in der Lukas Klinik, eine onkologische Spezialklinik, einen Job als Sekretärin gefunden. Ich habe da schon einmal zwei Monate temporär gearbeitet und das hat sicher geholfen, dass ich den Job bekommen habe.
Es hat sich vom ersten Moment an sehr gut angefühlt auch wenn dies nicht gerade mein Traumjob ist als Sekretärin zu arbeiten. Ich wusste gleich, dass es nur an mir liegt und ich den Job haben kann wenn ich will. Habe mich, so wie ich halt bin, sehr schnell entschieden und zugesagt. Ich musste Abstriche beim Lohn machen aber das war mir egal, hauptsache ich hatte einen Job und konnte mich beim Arbeitslosenamt abmelden. Am nächsten Tag sind dann noch Zweifel gekommen ob ich nicht zu schnell entschieden habe und vielleicht wäre ja noch etwas besseres gekommen. Wie der gute alte Verstand halt ist. Ich kenne das gut von mir, ich entscheide sehr schnell aus dem Bauch heraus und im Nachhinein wird gezweifelt. Meistens sind diese Entscheidungen aus dem Bauch heraus aber richtig, mein Verstand will das nur nicht einsehen...;-).

Da ich mir Geld von Cécile ausgeliehen und auch noch mein Mietzinsdepot zurückbezahlt worden war ging es mir finanziell auch besser und ich habe mir gleich mal eine neue Garderobe gekauft. Das tönt jetzt nach mehr als es eigentlich ist aber ich habe mir schon lange nicht mehr soviele neue Kleider, Schuhe und sogar eine neue Tasche gekauft. Das hat total Spass gemacht und ich konnte gar nicht mehr verstehen warum Kleider kaufen für mich früher so schwierig war. Ich glaube es hat vor allem damit zu tun, dass ich es mir nicht gegönnt habe und ich das Gefühl hatte es nicht wert zu sein. Es war immer alles einfach zu teuer und damit war das Thema abgehakt. Es ist aber so ein schönes Gefühl und vor allem meine innere Frau ist richtig aufgeblüht in den neuen Kleidern.

Am 22. September habe ich dann angefangen zu arbeiten und das war richtig hart! Am ersten Abend als ich nach Hause gekommen bin, war ich fix und fertig und wollte nur noch was Essen und ins Bett. Hätte nicht gedacht, dass der Wiedereinstig in diesen Arbeitsrhytmus so anstrengend wird. Ich arbeite jeden Tag über neun Stunden und am Donnerstag Nachmittag habe ich frei. Es hat mich einen Monat gebraucht bis ich mich an diesen Rhythmus gewöhnt habe und mich nicht mehr so müde gefühlt habe. Ich hatte auch Widerstände mich dieser Routine und dem Alltagstrott hinzugeben. Wenn man auf dem Camino unterwegs ist, ist jeder Tag wieder neu und man weiss nie wo man abends ankommt und wie es da ist. Dass hat mir total gefehlt und ich hätte am liebsten mein Bündel gepackt um wieder auf Wanderschaft zu gehen.

Ende Dezember bin ich dann in meine neue Wohnung nach Arlesheim gezogen und dann erst mal so richtig seelisch abgestürzt. Da war erstens der Umzug vom Stadtkind aufs Land, ich habe mich hier überhaupt nicht zurechtgefunden und dann dazu noch das plötzliche Alleinsein. Ich war total auf mich selber gestellt und vor allem konfrontiert mit meinem negativen Ego. Mein negativer Verstand wurde immer stärker und hat immer mehr Platz eingenommen. Ich hatte nicht mehr den Abstand wo ich weiss, dass ich das gar nicht bin. Ich wurde richtig depressiv und habe mich völlig isoliert und bin fast nicht mehr raus gegangen. Ich wusste, dass ich nach dem Camino wahrscheinlich abstürzen würde aber dass es mit so einer Wucht und erst ein paar Monate später kommen würde habe ich nicht erwartet. Alles was ich auf dem Camino erfahren und erlebt habe, alle meine Einsichten und Erkenntnisse waren überlagert von einer dicken Schicht Illusion. Da war eine riesige Leere in mir, ich hatte mir einen grossen Traum erfüllt und jetzt? Wars das schon? Nächster Traum? Wie weiter?

Ich habe intensiv angefangen zu beten und Gott um Hilfe gefragt: "Bitte lieber Gott hilf mir! Ich muss einfach wissen wer ich wirklich bin, ich muss die Wahrheit wissen und ich will wieder deine Liebe spüren und wissen, dass du an meiner Seite bist wie auf dem Camino". Ich habe viele spirituelle Bücher gelesen in dieser Zeit, mir viele Fragen gestellt und wusste, dass ich mich wieder vermehrt um mein spirituelles Wachstum kümmern muss. Meine Seele will Gott und nach Hause, wo immer das ist und dazu brauche ich Hilfe von jemandem der/die diesen Weg schon gegangen ist.

Habe mich dann entschieden, dass Seminar zu wiederholen. Dies ist ein Prozess wo das Ego sehr stark konfroniert wird und man all die Seiten die man an sich nicht mag und hasst ans Licht bringt um sie dann loszulassen. Man durchbricht innere Mauern und fühlt den Schmerz den man nie mehr spüren wollte. Leider gibt es keinen anderen Weg wenn man mit dem Teil in Kontakt kommen will der man wirlich ist, muss man sich zuerst durch den Schlamm wühlen. Man fühlt sich dann wieder verbunden mit sich selber und Gott. Eigentlich sind wir wie ein klarer Spiegel aber mit der Zeit häuft sich immer mehr Staub und Schmutz auf dem Spiegel an und verdeckt wer wir wirlich sind. Dann ist es wieder Zeit den Spiegel blank zu putzen!

Für mich ist jetzt wieder klar wo der Weg für mich weitergeht. Ich möchte immer wie mehr alles aus dem Weg räumen was mich von Gott trennt. Ja und was mich trennt ist mein Ego, alles was ich glaube zu sein und nicht bin. Ich habe mich lange gegen die Sehnsucht meiner Seele gewehrt, ich wollte ein ganz normales Leben führen, wie alle anderen auch. Als ich auf dem Camino unterwegs war konnte ich schon spüren wie die Wiederstände gegen Gott langsam dahinschmelzen und wie mein Ja immer grösser wurde. Auf der letzten Etappe habe ich sogar "Thy will be done gesungen", dein Wille geschehe und für immer Dein. Vor ein paar Jahren wäre dies unvorstellbar für mich gewesen. Irgendwann wird aber jeder Krieger müde gegen seine Seele anzukämpfen.

Nächste Woche werde ich in der Lukas Kinik meinen neuen Job anfangen. Ich habe nämlich intern gewechselt. Ich werde jetzt neu die Ambulanz der Aerzte übernehmen, d. h. ich habe wieder vermehrt Kontakt zu den Patienten und werde Blutentnahmen, Röntgenaufnahmen und EKGs (Elektrokardiogramm = Gerät mit welchem man das Herz kontrolliert) durchführen. Gleichzeitig muss ich noch bis Mitte Juli das Sekretariat weiterführen bis meine Nachfolgerin kommt. Habe also im Moment zwei Jobs wenn man so will. Die Stelle die ich antrete die ist ganz neu geschaffen worden und ich muss mir alles zuerst so einrichten, dass es funktioniert. Es ist niemand da der mich einarbeitet oder mir sagt wie ich es machen soll. Vor dem Seminar hätte mich das völlig gestresst aber jetzt nehme ich es als Herausforderung und weiss, dass ich alles kann wenn ich in meiner Stärke und mit Gott verbunden bin.

Ich fühle mich in der Lukas Klinik übrigens sehr wohl, auch weil die Leute hier offen sind gegenüber Spirituellem und ich diese Seite in mir nicht mehr verstecken muss. Ich will sie auch nicht mehr verstecken weil ich mittlerweile weiss, dass ich auch viel in dieser Richtung zu geben habe. Also fertig mit der vornehmen Zurückhaltung.

Ich geniesse es mittlerweile auch hier in Arlesheim auf dem Land zu wohnen und merke immer wie mehr was für eine Qualität es hat auf dem Land zu wohnen. Möchte im Moment überhaupt nicht in die Stadt zurück. Meine Wohnung ist wunderschön und lichtdurchflutet, ich fühle mich hier richtig glücklich.
Jeden Morgen stehe ich um 06.15 auf und dann wird erst einmal eine halbe Stunde meditiert, dann gibt es Frühstück und dann mache ich meinen täglichen Spaziergang zur Arbeit. Dies ist nämlich auch etwas ganz neues für mich: ich kann zur Arbeit laufen!

Acht Monate nach meinem Camino kann ich sagen, wow, was für eine innere und äussere Reise! Ich fühle mich so dankbar, dass ich diese Erfahrungen machen durfte und dass alles genaus so ist wie es sein soll. Ich fühle mich unendlich dankbar und weiss, dass meine Reise weitergeht und ich noch lange nicht angekommen bin. Ja und andererseits bin ich so weit gelaufen um schlussendlich bei mir selber anzukommen.

In anderthalb Wochen gehe ich übrigens auf meine nächste Wanderschaft. Ich werde die Schweiz auf dem Jakobsweg durchqueren und in Rorschach beginnen. Freue mich darauf endlich wieder unterwegs zu sein. Auf die Stimmung am frühen Morgen, auf jeden Tag der immer wieder neu ist, auf die Ungewissheit wo ich am Abend sein werde, sogar auf das Alleinsein und vielleicht treffe ich ja auch den einen oder anderen Pilger und habe schöne Begegnungen mit Land und Leute.

Ich wünsche allen Pilgern, dass sie genau das finden was sie tief in ihrem Inneren suchen, was auch immer das für jeden Einzelnen ist.

In Liebe Françoise

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